Hyakumonogatari Kaidankai wörtlich „Eine Versammlung von hundert übernatürlichen Geschichten“, war ein beliebtes, vom Buddhismus inspiriertes didaktisches Gesellschaftsspiel während der Edo-Zeit in Japan.


Spielablauf

Das Spiel wird nach Einbruch der Dunkelheit auf zwei Arten gespielt:

  1. Einfache Variante: Die Teilnehmer sitzen in einem Kreis in einem Raum, in dem 100 andon Lampen oder Kerzen brennen. Abwechselnd erzählen sie Geistergeschichten und übernatürliche Erzählungen. Nach jeder Geschichte wird eine Laterne oder Kerze ausgelöscht, wodurch der Raum im Verlauf des Spiels immer dunkler wird.
  2. Erweiterte Variante mit Mutprobe: Hierfür werden drei miteinander verbundene Räume genutzt. In einem der Endräume stehen 99 andon Lampen oder Kerzen und ein kleiner Spiegel auf einem Tisch. Die Teilnehmer versammeln sich im anderen Endraum, in dem sich die 100. Lampe befindet. Der mittlere Raum bleibt leer und unbeleuchtet. Idealerweise sind die Räume in einer L-Form angeordnet, sodass die Teilnehmer das Licht des Laternenraums sehen können, aber keine direkte Sichtlinie von ihrem Aufenthaltsraum dorthin haben. Nach jeder Geschichte nimmt der Erzähler die Lampe, verlässt den Raum und durchquert den dunklen Mittelraum, um im Laternenraum eine der 99 Lampen auszublasen. Dort schaut er in den Spiegel, bevor er zurückkehrt. Nach der letzten Geschichte löscht der letzte Erzähler oder die gesamte Gruppe die letzte Lampe vor dem Spiegel aus.

Übernatürliche Bedeutung

Das Spiel wird als rituelle Methode zur Beschwörung von Geistern angesehen. Man glaubt, dass Übernatürliches in der Dunkelheit nach dem Auslöschen der 100. Lampe erscheint. Aufgrund dieses Aberglaubens brechen viele Teilnehmer das Spiel bewusst nach der 99. Geschichte ab, um die letzte Lampe brennend zu lassen und so das Erscheinen von Geistern zu verhindern. Praktisch gesehen dauert es viele Stunden, alle 100 Geschichten zu erzählen, weshalb verkürzte Versionen des Spiels häufig gespielt werden.

Um die große Anzahl an Geschichten zu bewältigen, brachten die Teilnehmer oft Bücher und Sammlungen von Volkslegenden mit, die von Dorfbewohnern überlieferte Geschichten von übernatürlichen Begegnungen enthielten. Diese Geschichten wurden als kaidan bekannt.


Geschichte

Hokusai, „Hundert Geistergeschichten in einem Spukhaus“ (Shinpan uki-e bakemono yashiki hyaku monogatari no zu), ca. 1790.

Die genauen Ursprünge des Hyakumonogatari Kaidankai sind unbekannt. Man nimmt an, dass das Spiel ursprünglich in der Samurai-Klasse als Mutprobe entstand. In Ogita Anseis Kindererzählung Otogi Monogatari (1660) wird eine Version des Spiels beschrieben, in der junge Samurai Geschichten im Stil des Spiels erzählen. Als einer der Samurai die 100. Geschichte beendete und die letzte Kerze auslöschen wollte, sah er plötzlich eine riesige, knorrige Hand von oben auf ihn herabsteigen. Während einige Samurai vor Angst erstarrten, enthüllte ein Schlag seines Schwertes, dass die Hand lediglich der Schatten einer Spinne war.

Sommer als bevorzugte Jahreszeit:
Das Spiel wird traditionell im Sommer gespielt, da in dieser Zeit das Obon-Fest (das japanische Fest der Toten) stattfindet. Zudem glaubte man, dass das Gefühl des Schauderns und die Gänsehaut durch Angst eine kühlende Wirkung in der heißen Sommerzeit haben.

Zunächst war das Spiel vor allem bei der aristokratischen Kriegerklasse beliebt, gewann jedoch bald auch Ansehen bei der bäuerlichen und städtischen Bevölkerung. Mit wachsendem Interesse an neuen und originellen kaidan begannen Menschen, das Land nach mysteriösen Geschichten zu durchforsten, die oft Elemente von Geisterrache und buddhistischem Karma vereinten.